19. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik

4. Eine-Welt-Filmpreis NRW beim 19. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik

Filmempfehlungen für die Bildungsarbeit

Zum 4. Mal wurde während des Fernsehworkshop Entwicklungspolitik, der vom 10.-13.05.2007 in der Ev. Akademie Arnoldshain stattfand, der Eine-Welt-Filmpreis NRW verliehen. Der Preis, der vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW gestiftet wird, ist mit 3.000 EUR, 2.000 EUR und 1.000 EUR dotiert. Mit dem Preis werden Arbeiten von Autorinnen und Autoren gewürdigt, deren Filme für Probleme in Ländern des Südens sensibilisieren, die aber auch Ansätze zur Veränderung aufzeigen und einen Perspektivwechsel ermöglichen. 

Die Mitglieder der Jury:

Gisela Albrecht, Journalistin und Filmemacherin, Berlin
Martin Baer, Filmemacher, Berlin
Ulrike Becker, SWR, Redakteurin der Reihe Länder-Menschen-Abenteuer, Baden-Baden
Matthias Ganter, Medienberater, Medienzentrale des Erzbistums Köln
Frank Röhrer, Medienpädagoge, Landesfilmdienst Thüringen, Erfurt

Die Filmauswahl, die der Fernsehworkshop Entwicklungspolitik 2007 präsentierte, stellte, so der Gesamteindruck der Jury, einen Panoramablick auf die Entwicklung der Welt dar. Obwohl aus unterschiedlicher Motivation heraus entstanden, können die Schwerpunkte, die filmisch bearbeitet wurden, in Bezug zueinander gesetzt werden. Arbeit und Migration sind Themen, die sich wie ein roter Faden durch viele aktuelle Produktionen ziehen, aber auch die Träume, Hoffnungen und Wünsche, die sich mit der Suche nach einem besseren Leben verbinden und sich immer wieder in ähnlichen Erwartungen ausdrücken. Migration und ihre Ursachen sind Thema der Einen Welt, die auch bei uns sichtbar werden und unsere Verantwortung und Solidarität fordern. Dass es überall die Kinder sind, die den Preis zahlen für eine Globalisierung, die zwar die Freiheit des Güterverkehrs und des Kapitals garantiert, nicht aber die der Menschen, dass Familien und Beziehungen aufgegeben werden für eine erhoffte bessere Zukunft in der Fremde, ist eine weitere durchgängige Ebene. Die Kraft der Filme liegt darin, dem Gesicht und Stimme zu geben. Die ästhetische Gestaltung, Inhalt und Wirkung, aber auch die Ermutigung an junge Filmschaffende, die Einsatzmöglichkeiten in der Bildungsarbeit und Impulse für qualitativ gutes Fernsehen waren Kategorien für die Auswahl der Jury.

 

4. Eine-Welt-Filmpreis NRW:

1. Preis

Eisenfresser
Ein Film von Shaheen Dill-Riaz. Deutschland, Bangladesh 2007, 85 min.

Mit ungewöhnlicher Intensität macht der Film, der die Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitern auf den Schiffsabwrackwerften im Süden Bangladeshs darstellt, das Thema Arbeit sichtbar. Er ist geradezu ein Lehrstück über Ausbeutung und abhängige Arbeit, die keinerlei Rücksicht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Arbeiter nimmt. Die schwierigen Lebensverhältnisse im Norden des Landes, die die Menschen zur Migration zwingen, die unmenschliche und gefährliche Arbeit auf den Werften, die darin besteht, den Schrott der westlichen Welt zu zerlegen, die Rechtlosigkeit, die die Unterdrückung der Arbeiter und ihre Ausbeutung verstetigt, die Zerstörung der Umwelt, die unmittelbar mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen verbunden ist, werden als strukturelle Probleme definiert und gleichzeitig mit persönlichen Schicksalen verbunden. Der zurückhaltende Kommentar des Regisseurs am Anfang des Films eröffnet einen sehr persönlichen Zugang, der sich auch in der Nähe zu den Arbeitern, die er mit einer ungewöhnlich dichten Kamera begleitet, ausdrückt. Der Filmemacher behält diese Perspektive und den damit gewählten Stil seines Filmes konsequent bei. Die Bildgestaltung und Montage sind hervorragend und tragen über die gesamte Länge des Films zu einem intensiven Miterleben bei.

2. Preis

Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez
Ein Film von Heidi Specogna. Deutschland, Schweiz 2006, 90 min.

Der Film ist das Ergebnis einer beeindruckenden Recherche und erzählt ausgehend von nur zwei Fotos die Lebensgeschichte des Jose Antonio Gutierrez. Das erste dieser Fotos zeigt das guatemaltekische Straßenkind, das zweite den US-Soldaten, der als "Green-Card-Soldier" für ein fremdes Land kämpft, um das Recht auf eine Aufenthaltsgenehmigung und einen Studienplatz zu bekommen. Das dichte Portrait, in dem Freunde und Wegbegleiter José Antonios zu Wort kommen, verbindet so die Geschichte des Bürgerkriegs in Guatemala, der ihn zum Straßenkind werden lässt, mit der des Irak-Krieges, dessen erstes Opfer auf US-amerikanischer Seite er wird. Der Film gibt dem Jungen, der nie Amerikaner werden wollte und nun nach seinem frühen Tod auf dem Schlachtfeld als US-amerikanischer Held gefeiert wird, seine Identität zurück und steht dadurch gleichzeitig stellvertretend für alle, die sich auf der Suche nach einer Lebensperspektive auf den mörderischen Weg von Mittelamerika in die USA aufmachen. Die formale Lösung, Wegstrecken des Jungen durch Fotos zu erzählen und Entsprechungen im Leben von Straßenkindern heute zu suchen, beeindruckt. Der sensible und respektvolle Kommentar trägt zu einem facettenreichen Verständnis von Migration bei, für die José Antonio beispielhaft steht und die uns immer stärker beschäftigen sollte.

3. Preis

Roaming Around
Ein Film von Brigitte Bertele. Deutschland 2007, 53 min.

Der Regisseurin Brigitte Bertele und ihrer Kamerafrau Eva Maschke ist ein beeindruckender Debüt-Film über Straßenkinder im „Sodom und Gomorrha“ genannten Slum der ghanaischen Millionenmetropole Accra gelungen. Den Kindern, denen die Regisseurin mit Respekt begegnet, wird die Möglichkeit gegeben, ihre Lebenserfahrungen auszudrücken und ihre Erwartungen und Wünsche zu formulieren. Die Reflexionen der Schriftstellerin Amma Darko pointieren die Erzählungen der Protagonisten. Die sehr gute Bildgestaltung schafft eine dichte Atmosphäre, das Sounddesign ist experimentell und funktioniert als Gestaltungselement. Unkonventionelle Bildgestaltung, Schnitt und Sounddesign machen den Film besonders für ein junges Publikum attraktiv. Ein mutiger Film über Entwurzelung und Sehnsucht, der eine ganz eigene Handschrift trägt.

und

Nima
Ein Film von Annelies Kruk, Holland 2004, 17 min.

Die 13-jährige Nima aus Somalia, die mit ihrer Mutter in einem Flüchtlingszentrum in Holland lebt, verbindet in ihren Erzählungen den existentiellen Ernst ihrer Situation als Flüchtling mit der Leichtigkeit kindlicher Lebensfreude. Im Dialog mit den Menschen aus ihrem Umfeld und ihren Freundinnen wird die täglich angesichts drohender Abschiebung von ihr vollzogene Gratwanderung zwischen Angst und Sorge auf der einen und sprühendem Optimismus auf der anderen Seite deutlich. Selten wurde das Thema der Mädchenbeschneidung mit einer solchen Intensität von einem der Opfer geschildert. Migration, Flucht und Asyl, so zeigt der Film auch, sind Themen der Einen Welt, die uns in Europa betreffen, und die kein Mitleid sondern Solidarität erfordern. Das Besondere an diesem Film ist, dass er die geflüchteten Menschen, die von Abschiebung bedroht sind, nicht als Opfer zeigt, sondern in ihrer Stärke und Lebendigkeit und damit verdeutlicht, dass die Aufnahme der zu uns kommenden Menschen eine Bereicherung sein kann. Der dichte 17-minütige Film arbeitet mit sparsamen Mitteln und einer zurückhaltenden Kamera und zeigt, welches Potential die kurze Form beinhaltet. Der Film bietet viele Ansatzpunkte für die Bildungsarbeit und kann alle Altergruppen ansprechen.

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Filmempfehlungen für die Bildungsarbeit:

Amal
Ein Film von Ali Benkirane. Marokko 2004, 17 min.

Der Kurzspielfilm verdichtet die ungleichen Bildungsmöglichkeiten von Jungen und Mädchen in der hervorragend dargestellten Figur der zwölfjährigen Amal. Das Mädchen, das in einem marokkanischen Dorf lebt, legt jeden Morgen gemeinsam mit ihrem Bruder den Weg zur Schule zurück, als Sinnbild für den Weg, der ihr bevorsteht, wenn sie ihr Ziel, Ärztin zu werden, erreichen will. Ihr Traum wird abrupt zerstört, als ihr Vater sie aus der Schule nimmt. Neben der kritischen Reflexion der traditionellen Geschlechterrollen wird in dem meisterhaft fotografierten Film deutlich, welchen Wert Schule und Bildung haben. Obwohl die enttäuschte Hoffnung des Mädchens auf die Erfüllung ihres Traums im Vordergrund steht, behält das Ende eine gewisse Offenheit und bietet so viele Möglichkeiten der Auseinandersetzung.

Am Rande der Hoffnung

Ein Film von Gerd Schneider. Deutschland 2006, 52 min.

Der Dokumentarfilm begleitet den Kameramann Ramadan Affanah, der für den Sender Al-Jazeera in Ramallah im Westjordanland arbeitet. Der verzweifelte Anspruch des Kameramannes, seine Kamera im positiven Sinne als Waffe zu verwenden, verweist auch auf die zwiespältige Rolle von Kriegs- und Krisenberichterstattung. Die ungewöhnlich dichte Begegnung, die nicht nur mit dem Kameramann Ramadan Affanah, sondern auch mit dem Familienvater und Privatmann stattfindet, ermöglicht auf einer weiteren Ebene eine Reflexion über die Wirkung von Bildern in extremen Situationen, über die Entstehung von Bildern und den Einfluss der Kamera auf das Geschehen. Am Ende bleibt beim Zuschauer die beunruhigende Frage, ob die Kamera in Konfliktsituationen zum Mittäter werden kann, wenn die Einflussnahme des Mediums auf das von ihr abgebildete Geschehen deutlich wird.

Clownskinder

Ein Film von Jannicke Systad Jacobsen. Norwegen 2005, 10 min.

Der kurze Film beschreibt am Beispiel von zwei Jungen, die als Clowns an den Ampeln der großen Straßen in Guatemala-City ihr Geld verdienen, die Situation arbeitender Kinder. Mit großer Ernsthaftigkeit und Professionalität gehen die beiden ihrer Arbeit nach, rhythmisiert durch den Takt der Ampel, der auch vom Film als Rhythmus aufgegriffen wird. Dabei intensiviert jede neue Rotphase die Begegnung und verdichtet das Zusammenspiel von Bild und Ton/Musik. Der Film, der ohne Worte auskommt, ermöglicht für alle Altergruppen eine außergewöhnliche Begegnung mit dem Thema Kinderarbeit.

Lisandro will arbeiten. Aus der Reihe: Fremde Kinder
Ein Film von Manuel Fenn. Deutschland 2005, 30 min.

Für den 14-jährigen Lisandro aus Lima, Peru, ist es selbstverständlich, dass er zur Schule geht und gleichzeitig seine Familie ernährt. Der Film wirft ein ganz unsentimentales Bild auf den arbeitenden Jungen, der mit Humor und übersprühender Lebensfreude die Aufgaben, die an ihn gestellt werden meistert und sich außerdem mit Tatkraft in der Bewegung der arbeitenden Kinder für Mindestlohn und bessere Arbeitsbedingungen engagiert. Der Film macht deutlich, dass Mitleid für diese Kinder eine Kategorie ist, die sie in ihrem Problem nicht ernst nimmt, da es ihnen um die Einführung von Rahmenbedingungen geht, die ihnen erlauben, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Die Empfehlung bezieht sich ausdrücklich auf das gesamte Konzept der 3sat-Reihe „Fremde Kinder“, in der Kinder selbst zu Wort kommen, um ihre spezifische Lebenssituation darzustellen.

Milch in Bukina-Faso
Ein Beitrag von Jana Lemme für das Magazin nano. Deutschland 2005, 7 min.

Dem Beitrag aus dem Wissenschaftsmagazin nano gelingt es, in sieben Minuten, eine komplexe Geschichte des Welthandels am Beispiel Milch auf den Punkt zu bringen. Das abstrakte Thema, dass durch europäische Subventionen lokale Märkte in Afrika zerstört werden, wird argumentativ und visuell einfach und klar dargestellt. Wenn die von einheimischen Bauern selbst produzierte Milch im Laden direkt neben dem viel billigeren – weil subventionierten – europäischen Milchpulver steht, kann man buchstäblich sehen, dass die lokalen Bauern keine Überlebenschance haben. Trotz der Kürze des Beitrags kommen Betroffene selbst zu Wort, die den Kommentar nicht nur untermalen, sondern neue Aspekte hinzufügen.

Swiss Sans-Papiers
Ein Film von Andreas Hoessli. Schweiz 2006, 52 min.

Auf eindrückliche Weise zeigt der Film die Normalität der Illegalität am Beispiel einiger Schicksale aus der französischen Schweiz. Menschen, die die mehrheitliche Öffentlichkeit nicht wahrnimmt, weil sie gelernt haben, sich unauffällig zu verhalten. Erst auf den zweiten Blick tritt die Omnipräsenz der Angst zutage, die sie begleitet und die in den dunkel-beklemmenden Bildern visuell umgesetzt wird. Der Versuch einiger der Protagonisten, mit einem offiziellen Antrag aus der Illegalität herauszufinden, führt trotz deutlicher Unterstützung durch deren Umfeld zur Ausweisung und unterstreicht den Zynismus der Integrationsdebatte. Eindrücklich ist auch die differenzierte Auseinandersetzung einer Klasse von Grundschulkindern über das Schicksal von Kindern der Sans-Papiers.

Der 19. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik findet statt in Kooperation mit der Aktion Weißes Friedensband und der Melanchthon-Akademie Köln. Für finanzielle Unterstützung bedanken wir uns bei InWEnt aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Katholischer Fonds für weltkirchliche und entwicklungsbezogene Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit.

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