23. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik

8. Eine-Welt-Filmpreis NRW 

Zum 8. Mal wird im Rahmen des Fernsehworkshop Entwicklungspolitik der Eine-Welt-Filmpreis NRW verliehen. Der Preis wird vom Ministerum für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen gestiftet und ist mit 5.000 €, 3.000 € und 1.500 € dotiert.

1. Preis: Jakarta Disorder von Ascan Breuer und Victor Jaschke
2. Preis: Aus meinem syrischen Zimmer von Hazem Alhamwi
3. Preis: AIDS - Erbe der Kolonialzeit
von Carl Gierstorfer

Die Jury hat außerdem die Aufgabe, außergewöhnliche Filme für die Bildungsarbeit zu empfehlen

Mitglieder der Jury
Burkhard Althoff, ZDF/Das kleine Fernsehspiel
Lucie Bader, outreach gmbh - Wissenschaftskommunikation und Film, Bern
Thomas Belke, Mediathek für Pastoral und Religionspädagogik, Freiburg
Bettina Borgfeld, Filmemacherin, Berlin
Jürgen Hammelehle, Brot für die Welt-Evangelischer Entwicklungsdienst, Berlin


Die Begründungen

1. Preis:
Jakarta Disorder
Ascan Breuer, Victor Jaschke. Österreich 2013, 87 min.

Begründung der Jury :
Dieser einfühlsame und spannende Dokumentarfilm lässt miterleben, wie am Rande von Jakarta lebende Slum-Bewohner ihren Widerstand organisieren, als ihre Behausungen einem gigantischen Immobilien-Bauvorhaben internationaler Investoren weichen sollen. Aus zunächst offensichtlicher Ohnmacht wird eine relevante politische Stimme von Ausgegrenzten, die auf die noch junge Demokratie in Indonesien wirksam Einfluss nimmt. Im Zentrum dieser Bewegung stehen zwei faszinierende Protagonistinnen, deren Überzeugung und Handeln eindringlich und überzeugend vermittelt wird. Letztlich sind es 1,5 Millionen Unterschriften der verarmten Bevölkerung, die einem politischen Forderungskatalog so viel Gewicht verleihen, dass sich der neue Gouverneur von Jakarta von diesem in die Pflicht nehmen lässt.
Jakarta Disorder zeichnet sich durch eine hervorragende Montage aus, die entscheidend dazu beiträgt, dass ein komplexes Thema nachvollziehbar, bewegend und doch auch unterhaltsam vermittelt wird. Der Film lebt von eindrucksvoll in Szene gesetzten Kontrasten: Hier das Modell des projektierten Luxus-Hochhaus-Wohnparks, dessen Miete selbst für Gutverdienende nicht bezahlbar erscheint. Dort die einfachsten Behausungen von Menschen, die im informellen Sektor versuchen, wenigsten kleinste Einkünfte zu erzielen. Immer wieder sind es die Blicke aus einer „Perspektive am Rande“ auf die nahe Skyline von Jakarta, die zur Dramaturgie des Films gelingend beitragen. Hier die oft machtlos erscheinenden Bewohner, die sich das Recht heraus genommen haben, Land für sich zu beanspruchen, das ihnen formal nicht gehört. Dort die expansive Macht des Kapitals. In diesen ausgezeichnet visualisierten Spannungsfeldern lässt der Film die beiden Protagonistinnen überzeugend auftreten und agieren. Die Kamera begleitet sie dabei engagiert, lässt Nähe und Sympathie zu ihnen entstehen, ohne Grenzen zu überschreiten. Zwei in Ihrer Lebensgeschichte und ihrer gesellschaftlichen Rolle sehr verschiedene Frauen werden zum Kristallisationspunkt für eine Sozialbewegung. Der Film geht dabei ehrlich mit den beiden und damit auch den Zuschauenden um: Die Protagonistinnen werden nicht nur in ihrer erfolgreichen Aktivierung der Bevölkerung gezeigt, sondern auch in sehr persönlichen Sequenzen, in denen ihre Motivation und Kraft, aber auch ihre Ratlosigkeit und Zweifel ins Bild kommen.
Dieser Dokumentarfilm ist über Jakarta hinaus bedeutsam. Er rüttelt auf und stellt Anfragen. Es geht dabei um Sensibilität für die Verlierer von Globalisierung weltweit. Wichtig: Handeln statt Klagen ist die Botschaft. Die Potentiale sozialer Organisation zur Artikulierung elementarer menschlicher Interessen und deren politische Relevanz werden überzeugend vermittelt. In Verbindung damit werden Wert und Bedeutung von Demokratie reflektiert. Jakarta Disorder gelingt dies alles in Form einer packenden Dokumentation. Sie motiviert über den Film hinaus: organisiertes Handeln kann augenscheinliche Ohnmacht überwinden.

2. Preis:
Aus meinem syrischen Zimmer
Hazem Alhamwi. Frankreich, Libanon, Deutschland 2014, 70 Min.

Begründung der Jury:
Hazem Alhamwi erzählt in seinem Film von der Zerstörung der Menschenwürde. Und vom Widerstand dagegen.
Jahrzehntelang nahm das syrische Regime seinen Bürgern brutal alle grundlegenden Rechte. Es war unmöglich sich frei zu äußern, politisch zu engagieren, sich unabhängig zu bilden oder künstlerisch zu entfalten. Generationen von Syrerinnen und Syrern wurden von Kindesbeinen an systematisch indoktriniert und innerlich zerstört.
Hazem Alhamwi erzählt davon ganz persönlich, erzählt von seinen eigenen Zerstörungen, von denen seiner Familie. Und mit ihm erzählen Freunde und Verwandte. Es sind Geschichten von Angst, alltäglichen Niederlagen und Demütigungen, vom Scheitern, vom Versagen. Keine Heldengeschichten, aber Geschichten, die zu erzählen heldenhaften Mut erfordert und die man nicht mehr vergisst.
Aber Hazem Alhamwi erzählt auch vom Überleben. Er selbst überlebte mit Hilfe seiner Kunst, seiner Zeichnungen, seiner Filme. Dieses kulturelle Lebenselixier prägt auch dieses dokumentarische Essay. Dessen Form ist vom Rhythmus, der Wut und Trauer, der Heimlichkeit, dem Irrwitz und der Kreativität seines dissidenten Schaffens unter ständiger Bedrohung durchdrungen. Die assoziativen Bilder, der collagenhafte Einsatz von Tönen und Musik, die bitteren Anekdoten – all das macht in seiner eindringlich-poetischen Verdichtung das Leben in Unterdrückung schmerzhaft erfahrbar. Hazem Alhamwi führt die Zuschauer so in die Enge syrischer Wohnzimmer, Klassenräume und Gefängniszellen. Und er zeigt, wie diese Enge mit Hilfe der Kunst immer wieder kurz gesprengt werden konnte.
Aus meinem syrischen Zimmer ist ein berührendes Requiem für die Generationen von Syrerinnen und Syrern, die sich nicht befreien konnten. Und doch ist es ein hoffnungsvoller Film. Denn er erzählt auch von der Generation syrischer Kinder heute. Hazem Alhamwis Hoffnung und dringender Appell ist es, diese Kinder trotz aller äußeren Zerstörung Syriens vor ihrer inneren Zerstörung zu bewahren. Ein Appell, der diesem so persönlichen Film universelle Geltung verleiht. Es ist der Appell, die grundlegendste und oft gefährdetste Ressource des Menschen - seine Würde – wo immer möglich zu verteidigen.

3. Preis:
AIDS - Erbe der Kolonialzeit

Carl Gierstorfer. Deutschland 2014, 52 Min,

Begründung der Jury:
Aids - Erbe der Kolonialzeit begleitet den belgischen Wissenschaftler Teuwen und seine Kollegen auf ihrer mehrjährigen Suche nach den Ursprüngen einer der schlimmsten Pandemien der Menschheit: HIV/Aids. Der Wissenschaftler hofft, Erkenntnisse über die Herkunft von HIV/Aids im Kampf gegen die Ausbreitung neuartiger Viren nutzen zu können.
Während die meisten seiner Kollegen einen Forschungserfolg auf diesem Gebiet als unmöglich erachten, gibt Teuwen nicht auf. Die Zuschauenden nehmen Teil an einer spannenden Suche des Wissenschaftlers, seinen Fragen, den Entdeckungen und Schlussfolgerungen.
Seine Spur führt zunächst in die belgische und französische Kolonialzeit und die hemmungslose Ausbeutung ehemaliger Kolonialgebiete Afrikas. Mit Hilfe von Historikern, Virologen und Biologen rekonstruiert der Film den Ursprung des Virus beim Affen und den Verlauf seiner Ausbreitung und legt die Mitverantwortung der Kolonialherren durch ihre rücksichtslose Ausbeutung an der Entstehung der Pandemie nahe. Der erzählerische Bogen über das Jahrhundert zu heute entlässt den Zuschauer mit der drängenden Frage nach gleichem Handlungsmuster - der fortwährenden, nun legalen Ausbeutung von Rohstoffen in den afrikanischen Ländern durch die Industrieländer: Bergen die sozialen Folgen der Ausbeutung die Gefahr neuartiger Viren für Menschen und ihre Ausbreitung, eine Wiederholung des Ursprungs von HIV/Aids mit einem neuen, andersartigen Erreger? Interdisziplinär, spannend erzählt und mit klug in Szene gesetztem Archivmaterial und Grafiken eröffnet „Aids - Erbe der Kolonialzeit" eine neue, entwicklungspolitische Perspektive auf die Pandemie, um schließlich die drängenden Fragen nach der Gefahr heutiger neuer Erreger zu stellen.

Beim Kampf gegen Infektionskrankheiten muss aus der Vergangenheit gelernt werden. Der Film ist ein Plädoyer dafür, dass bei auftretenden Krankheiten der Zukunft früher mit deren Entdeckung und Enttabuisierung begonnen werden muss. Nur so kann das Leben von Millionen Menschen gerettet werden.

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Empfehlungen für die Bildungsarbeit

La Buena Vida - Das gute Leben
Jens Schanze. Deutschland, Schweiz, Kolumbien 2015, 94 Min.

Begründung der Jury:
Dieser packende Dokumentarfilm bindet Welten zusammen. Er beginnt in Deutschland mit der Sprengung eines Bohrturmes. Ende einer Kohlezeche. Dann geht es nach Kolumbien: „El Cerrejón“ ist mit mehr als 700 Quadratkilometern der größte Kohletagebau der Welt: 100.000 Tonnen am Tag als Ertrag. Das Gigantische dieses Projektes kontrastiert mit dem Urwalddorf Tamaquito mit seinen 30 Familien ganz in der Nähe der riesigen Maschinen. Den Bewohnern von Tamaquito steht eine Umsiedlung bevor. Bisher hatten sie alles für ihr Leben. Kohle spielte für sie keine Rolle. Widerstand und zähe Verhandlungen kommen. Letztlich: Ausgehandelte Umsiedlung, fremd im eigenen Land am neuen Ort. Der Film führt weiter: Kohle wird exportiert und kommt in Rotterdam an. Stromerzeugung bei uns mit Kohle aus Kolumbien. Acht neu eröffnete Kohlekraftwerke. Besser als Atomkraft!? Internationale Konzerne, die sich ihren Aktionären verpflichtet sehen. Der Versammlung der Aktionäre ist Tamaquito eigentlich keine Notiz wert. Auch wenn Jairo Fuentes, der Ortsvorsteher aus Kolumbien, dort einen eindrucksvollen Auftritt hat und Klage erhebt: Abmachungen wurden nicht eingehalten: Wasser fehlt. Kein Einzelfall - der Abspann zeigt es: 30 Familien in Kolumbien stehen für 1,5 Millionen Menschen, die jährlich umgesiedelt werden, weil sie dem Abbau von Kohle und anderen Bodenschätzen im Weg stehen.
La Buena Vida setzt vielfältige thematische Impulse, die über den Film hinaus weisen und sich für Bildungsprozesse anbieten. Globalisierung wird konkret und exemplarisch erlebbar: Strombedarf in Deutschland im Kontext der vielzitierten Energiewende - und Entwurzelung von Menschen in Kolumbien. Wirtschaft, die nicht wirklich auf menschliche Schicksale schaut. La Buena Vida klagt dabei nicht verbal an, sondern die Situation der Bewohner von Tamaquito und ihr Widerstand sprechen eine starke und eindeutige Sprache, die durch eindrucksvolle Bilder einer sehr guten Kamera getragen wird. Viele kraftvolle Bilder kommen auch ohne Worte und Kommentierung aus. So gelingt es z.B. allein filmisch zu erzählen, was den Reichtum des Dorfes Tamaquito ausmacht, worin die hohe Lebensqualität besteht, welches wirklich die wichtigen Lebens-Ressourcen sind: Wasser, Früchte und Fische. Diese „heile Welt“ wird durch eine gute Montage immer wieder kontrastiert: Die neue Urwaldpiste, die nach Tamaquito führt mit dem nach oben führenden Kameraschwenk, der am Horizont bereits den drohenden Kohleabbau ins Bild bringt. Oder die pädagogische und praktische Begleitung der Umsiedlung durch Personen, die keine Verbindung zur Lebenswelt und Kultur der Bewohner von Tamaquito aufweisen. Auch dass der zu unterzeichnende Vertrag sogar Weltbank-Standards beinhaltet, wirkt paradox. Stellvertretend für die zu ertragende Entwurzelung und Entfremdung kann die Szene gelten, als einige Bewohner einen ersten Besuch im Retortendorf „Tamaquito 2“ machen: Sie tragen dabei blaue Plastikhelme der Kohlearbeiter von „El Cerrejón“. Ein Geschenk, das sie weder benötigen, noch ihnen eine wirksamen Schutz bietet.

Die fliegenden Jungen von Gaza
Carmen Butta. Deutschland 2013, 44 min.

Begründung der Jury:
Die Jury ist der Überzeugung, dass dieser Film einen anderen Blick auf die medial oft vorkommende Region Gaza wirft. Er ermöglicht Einsichten jenseits des politischen Konflikts. Deshalb ist er eine sinnvolle Ergänzung für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit.
Mit ihren akrobatischen Übungen beim „Parkour" beschreibt er ein Stück westlicher Jugendkultur, die die Jungs in Gaza als Flucht aus ihren eigenen kulturellen Zwängen mit Begeisterung betreiben. Nicht nur, dass sie sich Repressalien ihrer Gesellschaft ausgesetzt sehen, auch innerhalb des geschickt in Szene gesetzten Familienportraits werden Konflikte beleuchtet. Daran wird das Dilemma einer Gesellschaft beschrieben, deren Jugendliche längst über soziale Medien weltweit vernetzt sind und die sich von den Zwängen ihrer Kultur entfernen wollen. Die Symbolik, die über den Film vermittelt werden kann, ist stark: die Freiheit zu spüren, indem man sich über die zerstörten Gebäude seiner eingrenzenden Heimat mit artistischem Geschick bewegt, kann beim Einsatz in der Bildungsarbeit mit Jugendlichen durchaus motivierende Funktion haben. Letztendlich regen die 44 spannenden Minuten auch zu der Fragestellung an, ob „Parkour" den Jugendlichen hilft, sich keiner radikalen Gruppierung anzuschließen oder ob der Vater gleiches erreicht, in dem er mit seinen Söhnen regelmäßig eine Moschee mit gemäßigten Predigern besucht.

Durst!
Angela Andersen, Claus Kleber. Deutschland 2014, 45 min.

Begründung der Jury:
Überwältigend schöne Bilder und dramatisches Geschehen erleben wir in der ZDF-Dokumentation Durst! auf eindrückliche Weise. Kein Wunder, dass wir gebannt hinschauen, wenn uns Angela Andersen und Claus Kleber auf ihrer filmischen Reise zu Brennpunkten der Wasserknappheit auf verschiedene Kontinente mitnehmen. Die äußerst spannende Reportage macht deutlich, dass Wasser weltweit ein immer größer werdendes Problem ist. Spätestens wenn wir in der Dokumentation hören, dass in Deutschland jährlich 80.000 Milliarden Liter (!!) fremdes Wasser für den Konsum beispielsweise von Steaks aus Südamerika oder Jeans aus Südostasien gebraucht wird, wissen wir, dass uns der Wassermangel etwas angeht. Wasser ist in der globalisierten Welt zum globalen Problem geworden. Der Film zeigt auf, welche Gründe es dafür gibt und wie sie sich darstellen. Durch immer höhere Konsumansprüche und unglaubliche Verbrauchsvolumen ist die Versorgung mit Wasser weltumspannend schwieriger geworden. Ob an den wachsenden Wüstenrändern Chinas, den Gemüseplantagen in Spanien oder den vergifteten Flüssen Indiens, Claus Kleber befragt Bauern, Plantagenbesitzer wie auch Wissenschaftler, die massiv von der Wasserknappheit betroffen sind, nach Ursachen. Der Reporter steht den Leuten auf Augenhöhe gegenüber und fragt neugierig und interessiert nach. Durch seine prägnante und eindringliche Kommentierung macht er deutlich, wie groß die Gefahr des Wassermangels ist. Dabei sind kritische und appellierende Worte zu vernehmen. Themen wie Gentechnologie, Entsalzung des Meerwassers oder die grüne Revolution sind Ausgangspunkte für wirtschafts- und sozialpolitische Überlegungen, die uns in dieser fesselnden ZDF-Dokumentation dargelegt werden. Es drängt sich bei uns die Frage nach dem Wirken des individuellen Handelns auf. Die emotionsstarken Bilder lassen uns verstehen, dass das Menschenrecht auf Wasser bewusst angegangen und erkämpft werden muss. Die Jury empfiehlt die interessante Dokumentation für die Bildungsarbeit. Der informative Inhalt, die packenden Geschichten und die moderne visuelle Filmnarration machen die Sendung zu einem aufrüttelnden Erlebnis.

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